Mittelalterliche Bibliotheken und Bibliothekskataloge
Mittelalterliche Bibliotheken (ca. 500 – 1500 n.Chr.)
In der Antike gab es bereits berühmte Bibliotheken, wie die von Alexandria oder die römische Bibliotheca Palatina, doch mit dem Untergang des Römischen Reiches gingen viele dieser Institutionen und ihre Inhalte verloren. Neben Plünderung und Zerstörung spielten auch Kultur- und Medienwandel eine wichtige Rolle bei diesem Verlust.
Inseln der Buchkultur existierten vor allem in den frühen Klöstern fort, von denen aus sich die abendländische Lese- und Schreibkultur während des Mittelalters langsam wieder ausbreiten konnte. Treibende Kräfte dieser Entwicklung waren die Verbreitung von Bildung und Bildungsstätten sowie technische Innovationen wie die Herstellung von Papier als billigem Schreibstoff und schließlich die Erfindung des Drucks.
Die Gestalt, Anzahl und Zusammensetzung mittelalterlicher Bibliotheken veränderten sich im Laufe dieser Entwicklung. Wurden Bücher im Frühmittelalter wie Schätze im „armarium“ – einem verschlossenen Schrank oder einer Truhe – aufbewahrt, so entstanden im 13. Jahrhundert mit den Universitäten neue Bibliotheksformen, „librariae“, die zugleich Aufbewahrungs- und Leseraum waren.
Häufig gelesene Bücher wurden auf Pulten, oft angekettet (Kettenbücher), ausgestellt. Als die Sammlungen im Spätmittelalter anwuchsen, mussten die Bücher eher in Regalen aufbewahrt werden.
Im Wesentlichen waren die Bibliotheken des Mittelalters Präsenzbibliotheken, aber es gab auch Ausleihmöglichkeiten gegen Pfand oder auf Grundlage eines Vertrags.
Außer Kloster- und Dombibliotheken gab es nun verbreitet Bibliotheken an Universitäten und andern Bildungsstätten, Kirchen, Spitälern und Pfarreien; Büchersammlungen wurden auch zunehmend von Adligen und Herrschern, Stadträten, kommunalen Behörden und von privaten Gelehrten angelegt. Bis zum Ende des Mittelalters hatte sich eine Buch- und Bildungskultur in Europa etabliert, die eine wesentliche Voraussetzung für den Aufbruch in die Moderne war.
Mittelalterliche Bibliothekskataloge und die MBK
Von den Bibliotheken des Mittelalters in beiderlei Sinn – also sowohl die Gebäude wie auch die Büchersammlungen – sind heutzutage nur noch wenige Reste erhalten. Neben der Provenienzforschung, welche die Herkunft und Besitzverhältnisse überlieferter Bücher rekonstruiert, sind Kataloge und Bücherverzeichnisse die wichtigsten Quellen zur Beschaffenheit und Zusammensetzung dieser einstigen Institutionen.
Unter „Bibliothekskatalog“ verstehen wir „alle Aufzeichnungen, die eine mittelalterliche Bibliothek in ihrem Ganzen oder einem Teile vorführen” (Paul Lehmann, Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz, Bd. 1: Die Bistümer Konstanz und Chur, München 1918; Nachdruck 1969, S. V–VI). Dieser breite Quellenbegriff umfasst sehr diverse Gattungen und Formen: von Katalogen im engen Sinn – ein „nach einem bestimmten System geordnetes Verzeichnis von Gegenständen, Namen o. Ä.“ (Duden) – bis hin zu Schatzverzeichnissen, Inventaren, Schenkungs- und Stiftungsurkunden, Testamenten, Rechnungen, Ausleihregistern, Verpfändungsverträgen, Listen der von einem bestimmten Schreiber geschriebenen Bücher etc. Sie können Buchsammlungen als Ganzheit oder als Teil darstellen und als eigenständige Dokumente überliefert oder in anderen Quellen eingebettet sein, etwa in Briefen, Chroniken oder Kalendarien, überliefert sein.
Von der Bibliothek zur Edition:
- die spätmittelalterliche Predigerbibliothek zu Isny (oben),
- eine handschriftliche Urkunde des Pfarrvikars Konrad Brenberg, 29. April 1482, mit einer Aufzählung von Büchern, die er der Bibliothek
schenkte (unten) und- die kritische Edition der Urkunde: MBK I, Nr. 33, S. 180-183 (rechts).
Solche „Kataloge“ enthalten wichtige Informationen über die Zusammensetzung, Größe, Ordnungsprinzipien und Schwerpunkte der Bibliotheken. Darüber hinaus kann man ihnen, je nach Beschaffenheit, vielseitige weitere Informationen entnehmen, etwa: Wo, an welchen Orten und von welchen Personen oder Institutionen Bücher gesammelt wurden, wie die Sammlung entstand und was mit ihr geschah, von wem sie benutzt wurden, wer in wessen Auftrag die Bücher abgeschrieben hat und wie teuer sie waren.
Angesichts dieses hervorragenden Quellenwerts wurde das Projekt „Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz“ gegründet, um die überlieferten mittelalterlichen Bibliothekskataloge zu erfassen und in kritischer Edition herauszugeben. Ähnliche Projekte zur Erschließung mittelalterlicher Bibliothekskataloge sind auch in anderen europäischen Ländern ins Leben gerufen worden, etwa in Österreich, Großbritannien und Belgien, während in anderen, beispielsweise Frankreich, Italien und der Tschechischen Republik, Repertorien entstehen.